Gemütlich ist es hier! Wir sitzen auf einem breiten Felsband, gut 1000 Meter über dem Tysfjord und genießen den phantastischen Ausblick hinüber zu den Lofoten, die sich in weitem Bogen an der norwegischen Küste nach Süden bis zum Polarkreis hinunter schwingen. Die warmen Sonnenstrahlen lassen uns ein wenig faul und müde werden...
Am heutigen Morgen ging es für unsere Verhältnisse doch recht früh los!
Bereits um 7 Uhr waren wir auf den Beinen, vom direkt am Fjord gelegenen Parkplatz durch das malerische Storelvdalen. Dort schlängelt sich der schmale Wanderpfad am Fuß der gigantischen Südwand des Stetind durch den hellen Birkenwald, immer am Ufer der namensgebenden Storelva entlang. Nach etwa einer Stunde erreichten wir die Baumgrenze und der Weg wurde spürbar steiler und steiniger. Auf den letzten Metern zum auf 728 Metern gelegenen Svartvatnet krabbelten wir dann über große Granitblöcke. Hier am Seeufer genehmigten wir uns eine kurze Pause, die gewaltige Nordwand des gegenüber liegenden Presttinden gut im Blick.
Weiter führte uns der Weg einen recht gruschtigen Hang hinauf, wobei es galt, die versteckte Abzweigung auf ein nach Norden führendes, unscheinbares Felsband nicht zu verpassen. Über dieses, erst extrem schmale, dann immer breiter werdende Band querten wir hinüber zur sogenannten „Kongelosjen“ oder „King's Box“, einer geräumigen Fläche, die sich perfekt zum Anseilen und natürlich auch für das zweite Frühstück eignete.
Etwa drei Seillängen über uns erblickten wir unsere Zeltnachbarn vom Parkplatz wieder. Warum die Kollegen allerdings gut zwei Stunden vor uns losgelaufen waren, wollte uns nicht so ganz einleuchten...
Die ersten drei Seillängen waren perfekt zum in die Gänge kommen! Mit Schwierigkeiten im oberen 4ten norwegischen Grad in allerbestem, warmem Granit ein absoluter Genuss! Die Standplätze liessen sich gut bauen und die Aussicht beim Sichern ein Traum.
In der vierten Länge zeigte uns der Stetind, dass er aber nicht nur auf die leichte Schulter zu nehmen ist. Eine kurze, grifflose Platte führte hinauf zu einem kleinen Dach. Unter diesem querten wir an einem moosigen, nassen Fingerriss hindurch, bis uns eine gut 40 Meter lange, steile Rissverschneidung auf das nächste Felsband führte. Eine gute Auswahl extra kleiner Klemmgeräte und Keile war in dieser Länge doch recht beruhigend.
Ein weiterer kurzer Quergang und wir standen am Beginn einer neuen, phantastischen Seillänge! Diesmal war es eine deutlich tiefere Verschneidung, die zusätzlich spürbar nach links hing. Mangels irgendwelcher Risse an den Seitenwänden war ab und zu ein Ausflug ins Innere unumgänglich, wollte man nicht die vollen 60 Meter ohne Zwischensicherung hinter sich bringen. Leider ließ sich das mit einem Rucksack im Schlepptau nicht immer wirklich elegant lösen, was mir den einen oder anderen schnippischen Kommentar von unten einbrachte. In dieser Seillänge überholten wir auch unsere Zeltplatzkollegen, die sich die Querung sparen und geradeaus wollten, was sich allerdings als weniger vorteilhafte Idee herausstellte.
Für uns folgten noch entspannende drei Seillängen bis zu unserem bequemen „Mittagspausenlager“, im Kletterführer auch „The Second Amfi“ genannt.
Noch ein entspannter Blick über das glitzernde Meer und wir müssen wieder los! Ab hier jedoch um einiges konzentrierter, folgen doch nun die drei Schlüsselseillängen der Tour.
Da hier, wie am gesamten Stetind, auch die Standplätze selbst gebaut werden müssen, ist ein Rückzug nur im Notfall eine Option – wenn auch eine recht kostspielige.
Es geht los mit einer steilen, abdrängenden Verschneidung, die unter einem kleinen Dach endet. Nun ein paar wackelige Züge nach links, hinüber zu einem neuen Risssystem, dass mich nach gut zehn Metern auf einen Pfeilerkopf bringt.
Trotz seiner enormen Größe wackelt der oben aufliegende Felsblock spürbar! Doch die drei versenkten Camalots sind über alle Zweifel erhaben und so kann ich die luftige Position richtig genießen! Leider versperrt das Dach den Blick nach unten und somit gibt es vondieser Länge auch keine Bilder! Schade!
Es dauert nicht lange, bis Annika den Wackelblock erreicht hat.
Die folgende Länge ist wohl die luftigste von allen! Hier verlässt die Route den Pfeiler, der uns die letzten elf Seillängen begleitet hat nach links in einen feinen, senkrechten Fingerriss. Da nun kein Fels mehr den Blick nach untern versperrt, haben wir schlagartig weit über 1000 Meter unter den Sohlen! Mühsam bringe ich auf den folgenden 30 Metern meine beiden 0.2er und einen 0.1er Cam unter, dann riegelt ein kleiner Vorsprung den Riss ab. Zum Glück kann ich mich von einer Begehung vor drei Jahren noch erinnern, dass sich der Rettungshenkel irgendwo links außen versteckt. Da ist er auch dieses Mal! Noch schnell ein weiteres Klemmgerät versenkt und die letzten Meter genießen. Annika folgt vorsichtig nach, da der Standplatz hier nicht so ganz 1A-Qualitäten aufweist.
Da man sich das Beste immer bis zum Schluss aufheben soll, folgt auch hier die schwerste Seillänge am Ende. Eine Rissverschneidung, die im Verlauf so fein wird, dass meine Fingerkuppen leider nicht mehr hineinpassen. Nebenan auf der Platte verspricht eine feine Leiste die Rettung – nur leider fehlen da bei meiner Körpergröße die entscheidenden fünf Zentimeter... Auch hier hatte ich vor drei Jahren ewig herumprobiert und keine andere Lösung gefunden: ich strecke mich so viel wie möglich und lasse mich dann nach rechts kippen. Die Leiste hält und zwei Züge weiter habe ich wieder einen sauberen Riss um die Länge zu Ende zu bringen.
Von hier aus sind es nur noch etwa 100 Meter in leichtem Gelände und wir stehen auf dem 1391 m hohen Gipfel des norwegischen Nationalbergs!
So spitz der Berg vom Fjord aus auch aussieht, der Gipfel besteht aus einer topfebenen Fläche, auf der gut und gerne zwei Fußballspiele gleichzeitig ausgetragen werden könnten. Vor allem das 360°-Panorama ist einfach unglaublich!!! Im Westen und Süden die Lofoten, die wie eine Wand im Atlantik stehen, im Norden die Berge der Ofoten, die nördliche Fortsetzung der Lofoten-Kette mit dem tiefblauen Efjorden im Vordergrund. Den Horizont im Osten bilden die hohen, vergletscherten Berge an der norwegisch/schwedischen Grenze. Wir sitzen am steilen, teils sogar überhängenden Westabbruch des Gipfelplateaus und lassen die Beine über dem anspruchsvollen „Vestveggen“ baumeln, der mit seiner Schlüsselpassage „Djevelens Dansegulv“, der Tanzboden des Teufels, den zweiten absoluten Klassiker am Stetind darstellt.
Da die Sonne sich trotz der nördlichen Lage jetzt so gegen 21 Uhr dem Horizont nähert, müssen wir schleunigst weiter! Der erste Teil des Abstiegs, der Grat hinüber zum Halls Fortopp ist, obwohl es der Normalweg ist, nicht ganz einfach.
Der Höhepunkt hierbei ist sicher, neben der kurzen Abseilaktion am Mysosten, ein kurzer Gratabschnitt, der nicht breiter als 20 Zentimeter ist, dafür an beiden Seiten mehrere hundert Meter Luft nach unten bietet.
Noch ein letzter kurzer Stopp am Vorgipfel um das Kletterzeug im Rucksack zu verstauen, die Stirnlampe auszupacken und der Sonne bei ihrem letzten Aufglühen hinter der Lofoten-Wand zuzusehen. Jetzt fehlen „nur noch“ 1314 Höhenmeter Abstieg, erst über steile, ausgesetzte Felsbänder, dann immer mehr über grobes Blockgelände, bis wir schließlich den im dunklen glitzernden Svartvatnet wieder erreichen. Nach einer weiteren guten Stunde erreichen wir glücklich, aber ziemlich erledigt unser Zelt am Fjord.
Charakter
Der hier beschriebene „Sydpilaren“ am Nationalberg der Norweger ist ein absoluter Klassiker!
Obwohl nie schwerer als eine 6- in der norwegischen Skala, sollte dieser Ausflug nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Alle Sicherungspunkte und Standplätze müssen zwingend selber angebracht werden, lediglich die Abseilstelle beim Abstieg ist eingerichtet. Mangels einer Bohrhakenlinie muss man sich natürlich auch den Routenverlauf selbst suchen. Je nach Seillänge besteht die Tour aus 13 bis 14 Seillängen, dazu gut zwei Stunden Zustieg und 3 bis 4 Stunden Abstieg.
Beste Zeit
Juli bis Anfang September. In den Monaten Mai und Juni liegt in der Regel noch zu viel Schnee auf den Bändern. Der Juli bietet das meiste Licht, bis Mitte des Monats sogar noch Mitternachtssonne. Im September wird es schön langsam recht frisch. Wir kletterten die Route beide Male gegen Ende August und hatten, nach etwas Wartezeit auf ein Wetterfenster, perfekte Bedingungen.
Ausgangspunkt
Gut 60 Kilometer von Narvik, in Kjerringvik zweigt südlich des Efjords die Straße „827“ von der E6 in Richtung Kjøpsvik ab. Der Parkplatz, sofort nach dem zweiten Tunnel, ist der Ausgangspunkt für Klettereien an der West- und Südseite des Stetind.
Ausrüstung
Da es sich um eine traditionelle Kletterei handelt, ist -zusätzlich zur normalen Kletterausrüstung- ein ausgewogenes Set an Klemmgeräten und Keilen Pflicht! Obwohl die Seillängen oft gut 60 Meter lang sind, sollten natürlich auch am Ende noch genügend Sicherungsmittel übrig bleiben, um zwei Standplätze damit einrichten zu können. Wir hatten neben einem Satz Wild Country Rocks 1-10, einen Satz Black Diamond Camalots C4 (000 bis 2) und C3 (0.3 bis 4.0, die wichtigsten Größen doppelt). Einige Bandschlingen, zum Verlängern der Zwischensicherungen, haben sich bewährt. Beim ersten Mal kletterten wir mit zwei 60 Meter (absolutes Minimum!!!) Edelrid-Halbseilen, auf der geschilderten Tour verwendeten wir ein 9,7mm Beal Booster in 70 Meter Länge, was ich als angenehmer empfand.
Auf Grund der unmittelbaren Nähe zum Atlantik sind Wetterumschwünge häufig und heftig! Warme und wasserdichte Bekleidung sollte unbedingt im Rucksack mit dabei sein!
Literatur
+ „Stetind and Narvik – Dancing on the Devil's Dancefloor“, Topptur Förlag
+ www.rockfax.com stellt einen kostenlosen Download eines Topos zum Südpfeiler zur Verfügung, die Beschreibung ist jedoch deutlich weniger genau, als die des oben empfohlenen Führers
+ Der Berg hat auch eine eigene Homepage: www.stetind.nu
August 2009
15. August 2006